… nur manchmal ist er einfach zu blöd! Wir leben in aggressiven, überhitzten, enthemmten Zeiten, die Meinungs- und Kunstfreiheit wird immer wieder heftig strapaziert. Ob Shitstorms im Schutzraum der Internet-Anonymität, Pegida-Pöbeleien, rot-grüne Sprachdiktatur - die Frage, wer wen überzeichnet und was Satire darf, ist politischer denn je. Der Witz als Gefahrenzone: In Diktaturen riskiert mancher mit Witzen sein Leben. In Demokratien steht höchstens der eigene Ruf oder hin und wieder auch die Karriere auf dem Spiel.
Das Problem ist systemimmanent, denn der Witz ist von Natur aus nie politisch korrekt. Frei heraus: Er ist von seiner Natur her ein Tabubruch, in Worte gekleidete Subversion; auch deshalb handelt er oft von Sex, Macht, Gott und Tod. Er setzt sich in sehr vielen Fällen aus Vorurteilen, Ressentiments, unterdrücktem Hass, Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Gewaltfantasien und gesellschaftlichen No-Go’s zusammen. Der Witz, schrieb Sigmund Freud, sei triebgesteuert. Das heißt dann wohl, das viele Pointen voraussetzen, zivilisierte Benimmregeln für einen Augenblick bewusst zu ignorieren.
Da sind zum einen die Chefwitze (also Politiker-, Lehrer-, Arzt-, Polizisten- oder blasphemische Witze), nach dem Motto: Wer das Sagen hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Was ist der Unterschied zwischen dem Bundestag und einem Theater? “Im Theater werden gute Schauspieler schlecht bezahlt”. Chefwitze zielen von unten nach oben, sie entgrenzen und entwaffnen, fungieren als Korrektiv gegen Machtanmaßung und -missbrauch. Dieses anarchische, rebellische Moment steckt auch in jeder Karnevalssitzung, der Fasching basiert auf der Narrenfreiheit der Ohnmächtigen. Zum anderen gibt es die Kategorie der Opferwitze, bei denen der Spott eben jenen Ohnmächtigen gilt, den Benachteiligten und Diskriminierten. Ostfriesenwitze, Polenwitze, Blondinenwitze, Schwulenwitze, Judenwitze – schon diese Begriffe niederzuschreiben, löst Unbehagen aus. Der Opferwitz versucht aber gelegentlich auch, die Übermacht des Nicht-Bewältigbaren zu brechen. Es ist ein Unterschied, ob ein Jude einen Judenwitz erzählt. So kamen die ersten Witze zur 9/11-Katastrophe direkt aus USA: „American Airlines: Wir fliegen Sie direkt ins Büro“.
Satire darf nicht zur Hetze degenerieren
Nun steckt der Witz zunehmend in einem Dilemma. Denn die nicht nur in den (a-)sozialen Medien schnell mal enthemmte Gesellschaft steht in immer größerem Widerspruch zur dankenswerterweise gestiegenen Sensibilität beim öffentlichen Sprachgebrauch. Er darf nicht auf Menschen zielen, die sowieso schon als gesellschaftliche Verlierer gelten. Andere Grenzen darf es in einer freien Gesellschaft nicht geben, denn der Witz, die Satire, der Spott gehören zum Wesen der Demokratie. Auch das Recht auf schlechte Witze muss man verteidigen, ob es sich um Böhmermanns machohaften „Ziegenficker“-Tabubruch handelt oder um Kramp-Karrenbauers Toilettenwitz, in dem sie sich über die Minderheiten-Sensibilität der „Latte-Macchiato-Fraktion“ mokiert.
Neuerdings macht der Begriff der Cancel Culture die Runde. Der aus dem angelsächsischen Raum stammende Terminus bezeichnet den Boykott von Personen, denen diskriminierende Sprache oder Haltungen vorgeworfen werden. Wer bestimmt aber eigentlich, was gesagt werden darf und was nicht? Ist unsere Meinungsfreiheit in Gefahr, weil sich eine linksliberale Elite anmaßt, Sprachverbote zu verhängen, wie einige argwöhnen? Oder erlaubt ein scheinbar anonymes Netz ohne Anstandsregeln üble rassistische oder frauenfeindliche Beleidigungen? Aber wo kämen wir hin, wenn nur noch Witze gerissen werden dürfen, die man selber für gelungen hält? Wenn nur noch die "Richtigen" sie erzählen dürfen? Welcher Autorität müssten wir uns beugen, die das entschiede? Die Diskussion darüber ist breit, ein gutes Zeichen. Aber die Eiferer auf beiden Seiten legen es darauf an, den Konflikt eskalieren zu lassen.
Vielleicht liesse sich ein Konsens erzielen, wenn ALLE sich an ein paar Grundregeln hielten
Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten
Die Diffamierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder ihres Alters sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt
Es gibt ein Recht auf dumme Meinungen
Der Prozess der Meinungsfindung muss offen sein
Außenseiter dürfen die herrschende Meinung herausfordern, ohne dafür geächtet und boykottiert zu werden
Es gibt Tendenzen zu einer Cancel Culture – insbesondere in Hochschulen, bei Behörden, großen Unternehmen, Medien und in kulturellen Einrichtungen
Gedichte Schwarzer Menschen dürfen auch von Weißen übersetzt werden – um umgekehrt
Satire darf alles. Jeder hat das Recht, individuell beleidigt zu werden. Nach der berühmten Frage des deutschen Schriftstellers Kurt Tucholsky: Was darf Satire? ist Satire ihrem Wesen nach zutiefst ungerecht. Daraus folgt der Satz, dass jeder das Recht hat, individuell beleidigt zu werden: der Muslim, der Jude, die Christin, die Lesbierin, der Mensch mit Behinderung. Aber die Person darf nicht beleidigt werden als Muslima, Jude oder Behinderter. Das wäre Hetze.
Meinungsfreiheit ist nicht das Recht auf Widerspruchsfreiheit
Das, was politisch als korrekt angesehen wird, hat sich über die Jahrzehnte verändert
Die Zukunft unserer Gesellschaft wird bunter und multikultureller sein. Die Leitkultur ist das Grundgesetz
Wir sollten alle etwas rheinisch gelassener sein. Jeder Jeck ist anders, secht de Kölsche.
Also, kein Grund zur Beunruhigung: Da macht einer einen schlechten Witz, viele regen sich auf, Argumente werden ausgetauscht. Gut so, das nennt man Demokratie.