Die woken Sprachreformen sind keine Marotte, sondern ein Großangriff auf unsere Lebensart, belegt ein faszinierendes und erhellendes Buch (Matthias Heine: Der grosse Sprachumbau. Eine gesellschaftspolitische Katastrophe. LMV. 240 S.)
Markus Söder ist vermutlich so etwas wie der Chuck Norris der deutschen Politik. Zumindest in der Selbsteinschätzung des bayerischen Ministerpräsidenten gibt es nicht viel, was er nicht vermag. Die Naturgesetze kann er zwar nicht aushebeln, aber die Grundregeln der Politik beugt er zuweilen virtuos nach seinem Willen. Zu den wenigen Dingen, die Söder nach eigenem Eingeständnis nicht kann – oder will –, gehört das Gendern. «Mir ist es a) zu anstrengend und b) zu doof», rief er jubelnden Parteifreunden zu. Bei ihm klinge das Binnen-i wie Schluckauf. «Ich finde es super, wenn es jemand kann.» Da muss der CSU-Chef lange suchen, denn der unverhoffte Glottisschlag inmitten eines Wortes klingt immer, als ob der Sprecher halb trunken durch die Sätze stolperte.
Rassistische «Leichte Sprache»
Was der Verbreitung dieser sprachlichen Unart freilich leider keinen Einhalt geboten hat. Vor allem an Universitäten, aber auch in einigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wird nicht nur schriftlich mit verschiedenen Wortbinnenzeichen gegendert, sondern auch mündlich – ob das dem Publikum gefällt oder nicht. Wobei man neidlos anerkennen muss, dass es wohl nur der deutschen Sprache gelingt, ein Wort wie «Wortbinnenzeichen» zu erfinden. Doch das ist schon der einzige – augenzwinkernde – positive Aspekt des Frontalangriffs aufs Deutsch, der im Wesentlichen von Linken, Queeren und Feministinnen vehement vorgetragen wird. Da ist die «feministische Linguistik», also die bewusste Verwechslung – der amerikanische Traum: vom Tellerwäscher zum Millionär; der deutsche Traum: vom Tellerwäscher zum Tellerwaschenden. Da ist der Kampf um die Pronomen, weil «er» und «sie» den angeblich vielen Dutzenden Geschlechtern nicht genügen. Da werden einzelne Wörter als «Unwort des Jahres» an den Pranger gestellt, weil sie irgendjemanden diskriminieren. Und da ist nicht zuletzt die «Leichte Sprache», der sich sogar die «Tagesschau» verschrieben hat. Sie ist im Grunde genommen rassistisch, weil sie Migranten das Erlernen des schwierigen Regeldeutsch nicht zutraut.
Einheitlich denken
Tatsächlich hat sie einen rassistischen Vorgänger: Kolonialdeutsch, das man im Kaiserreich für die “dummen Neger” erfand. Lange wurden diese und andere sprachliche Verirrungen und Vorschriften als kauzige Marotten abgetan. Doch inzwischen haben sich die Politik und die Medien unter massivem Druck starker Lobbygruppen eingeschaltet: Hochschulen und Behörden werden angewiesen, zu gendern. Was anscheinend harmlos begann, hat sich ausgewachsen zu einem großen Sprachumbau, der nicht nur die Art, wie wir reden, verändern will, sondern damit auch das Denken. Ganz im Sinne des Nazi-Propagandaministers Joseph Goebbels: «Das Volk soll anfangen, einheitlich zu denken.»
Der studierte Linguist Matthias Heine hat bereits zahlreiche einzelne Aspekte dieser Entwicklung unter die Lupe genommen. Nun widmet er ein Buch dem gesamten «Großen Sprachumbau». Es wäre eine Untertreibung, zu sagen, dass er ihn kritisch sieht. Für ihn hat er nahezu Endzeitcharakter. Heine vergleicht ihn mit der Sprache der totalitären nationalsozialistischen und kommunistischen Diktaturen und mit dem Neusprech, das George Orwell für seinen dystopischen Roman «1984» erfand: Mit der neuen Sprache sollen auch alle gedanklichen Formen unmöglich werden, die im Widerspruch zum Regime stehen.
Auch in der mutmaßlich so demokratischen Bundesrepublik wählten die «linguistischen Optimierer» ein anderes Deutsch in der Hoffnung, dass «dieses andere Deutsch dann auf dem Wege der sprachlichen Umprogrammierung auch ein völlig verändertes Volk hervorbringen wird, das zum schlechten, alten Denken gar nicht mehr fähig ist», urteilt Heine. Der Hass auf die Nation erstreckt sich nun auch auf die Sprache, von der die in Antalya geborene kurdische Aktivistin Sibel Schick sagt, sie sei «die hässlichste Sprache der Welt». Das ist Lichtjahre entfernt vom Bekenntnis des gebürtigen polnischen Juden Marcel Reich-Ranicki, der die deutsche Sprache zu seiner Heimat erklärte. Lichtjahre auch von Heinrich Heines Liebeserklärung: «Und als ich die deutsche Sprache vernahm, da ward mir seltsam zu Muthe; ich meinte nicht anders, als ob das Herz recht angenehm verblute.» Karl Kraus, auch er verliebt in seine Muttersprache, rühmte Heine, dass er dem steifen Deutsch «das Mieder gelockert» habe. Die heutigen Sprachzerstörer indes, so Heines später Namensvetter Matthias, wollten ihr das Mieder wieder enger ziehen.
Anrüchiges Vorbild
Die Ursprünge der Sprachpolizei verortet er an Amerikas woken Universitäten. Sie fungieren heute als ideologische Stichwortgeber für deutsche Geisteswissenschaftler, wie es früher das sowjetische Politbüro für die DDR war. Dass sie gerade in Deutschland so ungewöhnlich rasch erfolgreich waren, hat nach Heines Meinung einen anderen, durchaus hausgemachten Grund: Die bis heute umstrittene Rechtschreibreform von 1998. Sie habe «eine erste Bresche in die ungeliebte Mauer der Tradition» gesprengt. «Als dies am Ende trotz massivster Widerstände und gegen den Mehrheitswillen gelungen war, fühlten sich andere elitäre Sprachumbauer ermutigt.» Der Sprachkampf begann mit ihr. Geführt wird dieser Sprachkampf auch nicht von den Rechten; sie führen nur erbitterte Rückzugsgefechte. Vom Zaun gebrochen haben ihn die Linken. Heine erinnert daran, dass die Rechtschreibreform auf einem anrüchigen Vorbild fusst: der Reform des Nazi-Bildungsministers Bernhard Rust. Auch er wollte die deutsche Rechtschreibung vereinfachen, wenn auch wesentlich radikaler als die spätere Neuauflage. So sollte das V durchgängig durch F oder W, ai durch ei, äu durch eu ersetzt werden. Der Unterschied zwischen «dass» und «das» sollte eingeebnet werden, das «ch» in Wörtern wie «Fuchs» mit «k» geschrieben werden: «Fuks».
Größenwahnsinnig
Hitler allerdings ging die Reform zu weit, und er hatte im letzten Kriegsjahr andere Probleme als eine neue Orthografie. Doch grundsätzlich befürwortete der Diktator sprachliche Reformen. Er war ein Feind von Dialekten – sein Österreichisch trainierte er sich früh ab –, und er setzte die Antiqua- anstelle der Frakturschrift durch. «Die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen oder zu bezeichnen ist falsch», so sein Sekretär Martin Bormann. «In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern.» Das war nachweislich unrichtig, so, wie es nicht der Ironie entbehrt, wenn heutige Neonazis ihre Slogans in Fraktur auf ihre T-Shirts drucken. Hitler hatte für solche Leute einen Spottnamen: «Rückwärtse». Vorwärts aber soll es nach dem Willen der gegenwärtigen Sprachreformer gehen. Doch der Fortschrittsbegriff dieser «sich aufgeklärt dünkenden Eliten», so Heine, sei «autoritär und grössenwahnsinnig». Nicht von ungefähr erinnere der von ihnen eingeführte Begriff der gendergerechten Sprache an die autogerechte Stadt, die von Stadtplanern der Nachkriegszeit eingeführt und weitflächig verwirklicht worden sei. Was alliierte Bomber deutschen Städten angetan hätten, das habe die Rechtschreibform der deutschen Sprache zugefügt. In beiden Fällen hätten die Reformer eine Brache vorgefunden, auf der sie sich austoben können: «Sie wollen die alte Sprache zerschlagen, wie sie die Architektur von gestern, die schönen Künste, die Religion, die Nation, die Ehe, die Bildung und die Familie zerschlagen wollen», sagt Heine. Es handle sich um nichts Geringeres als um ein Umerziehungsprojekt, das linke Revolutionäre immer deshalb anzetteln müssen, weil der Mensch eben nicht – wie der Traumtänzer Rousseau postulierte – von Natur aus gut ist. Er muss passend gemacht werden.
Keine Erlösung für den weißen Mann
Für Heine ist es kein Zufall, dass sich die Linke die Sprache als neuen Kampfplatz erwählt hat. Als sich der Klassenkampf nach dem Ende des Kommunismus 1989 erledigt hatte, musste sie sich neu erfinden. Sie schuf die «Internationale der Diskriminierten», zu deren Fürsprecher und Sachwalter sie sich aufschwang. Um politische Mehrheiten zu erringen, musste sie die Zahl der diskriminierten Gruppen erhöhen, und tatsächlich gibt es heute nicht mehr viele Menschen, die sich nicht auf die eine oder andere Weise ausgegrenzt, benachteiligt oder auch nur scheel angesehen fühlen. Beweisen bedarf es nicht; es genügen Gefühle. Sie haben zusätzlich den Vorteil, dass sie logisch nicht widerlegt werden können. Nur einen Haken hatte die Sache: Wenn irgendwann einmal alle diskriminiert sind, ist es keiner mehr. Daher erfand man eine Gruppe, die nicht würdig ist, diskriminiert zu werden: den weißen Mann. Das ist seine Ursünde, die ihn zeichnet von Geburt an, so wie den Christen der Sündenfall im Paradies. Eine Erlösung gibt es für ihn nicht, allerdings auch nicht den einen, strafenden Gott. Stattdessen werden wir «gegängelt von einem Heer besserwisserischer Brüderchen, Schwesterchen und anderer nonbinärer Geschwister».
[Von Wolfgang Koydl in: Weltwoche Deutschland Nr. 16.25]